Kooperation als Überlebensprinzip - uralt und aktuell zugleich
Mathematik, Evolution, Spieltheorie
Was haben Mathematik, Evolutionsforschung und Spieltheorie mit Kooperation zu tun? Ziemlich viel, wie Martin A. Nowak und Roger Highfield in ihrem Beststelleer "Kooperative Intelligenz - das Erfolgsgeheimnis der Evolution" 2013 überzeugend dargelegt hatten.
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Kooperation trieb die Evolution voran
Die These des "survival of the fittest" scheint vielen Skeptikern überzeugend: Alle wollen schließlich gewinnen, und die Stärksten setzen sich durch, oder? Diese Theorie wurde schon oft untersucht, und auch die beiden o.g. Forscher widmeten sich ihrer Ausdifferenzierung. Sie fanden heraus, dass das Übertrumpfen anderer in einem Wettbewerb zwar kurzfristig zu Vorteilen führte, langfristig aber das Prinzip der Kooperation, das Überleben auf der Erde sicherstellte. Von riesigen Netzwerken über familiäre Verbindungen bis hin zu altruistischen Taten für den Erhalt der Art oder der Kooperationsbeziehung ist in der Natur inkl. homo sapiens Zusammenarbeit vielfach das dominante Prinzip. Nach dieser Logik wird das beste Resultat für alle erzielt, wenn das Gesamtwohl mitbedacht wird. Die besten Bedingungen hierfür wurden anhand mathematischer Modellierungen und Computersimulationen mit riesigen Datenmengen erforscht, wobei unter anderem das "Gefangenendilemma" als Ausgangspunkt diente.
Kooperation von KollektivenBei Multilevel-Selektion geht es speziell um die Kooperationen von Kollektiven. In unstrukturierten Gruppen, die über ihr Verhalten nicht reflektieren und keine Sanktionen setzen, hat ein gemeinsames Wohl keine Chance, das ist wissenschaftlich mittlerweile erwiesen. Daher konzentrierte man sich auf verschiedene Varianten strukturierter Gruppen, um herauszufinden, welche Bedingungen das Wohl aller besonders begünstigt und welche Spielregeln man hierüber aufstellen kann.
Zum einen fand man bei homogenen Gruppen heraus (homogen = jeder Person hat ungefähr dieselbe Anzahl Kontakte), dass die Tendenz zur Kooperation steigt wenn der Nutzen im Verhältnis zur Anzahl der Kontakte groß genug ist. Wenn also mehr Kontakte da sind muss ein Extra-Anreiz geboten werden.
Vor drei Monaten veröffentlichte ein internationales Forscherteam in der Zeitschrift "nature communications" nun ein Ergebnis zu heterogenen Gruppen (heterogen=jede Person hat unterschiedlich viele Kontakte). Bisher ging man davon aus, dass bei heterogenen Gruppen Kooperation noch schwieriger wird. Der Parameter "Neigung, seine Meinung/Strategie zu ändern" wurde aus der Gesamtrechnung herausgezogen und getrennt betrachtet, da Menschen tatsächlich unterschiedlich sind hinsichtlich dieser Neigung. Es kam heraus - je mehr Kontakte jemand in einer Gruppe hat und desto weniger die Person ihre Strategie ändert, desto mehr neigt eine Gruppe zur Umsetzung des Gemeinwohls - sogar mehr als homogene Gruppen.
Wievel lohnt es sich reinzugeben, wieviel erhalte ich zurück?
Grundsätzlich besteht bei Kooperation nach rein rationalen Spielregeln das Problem, wieviel man bereit ist zu geben und wieviel man zurückbekommt. Es besteht immer das Risiko von der anderen Seite ausgenutzt zu werden. Das Ausloten von Risiken und Vorteilen die Berücksichtigung von Motiven, früheren Entscheidungen und das Wissen darum, dass die andere Seite sich dieselben Fragen stellt, gehören zu den schwierigen Fragen, die sich die Mathematiker stellten. Im Ergebnis waren Strategien für erfolgreiche Kooperation nicht kompliziert, sondern folgten einfachen Parametern. Das Computermodell, das die "wie du mir so ich dir"-Strategie nachahmte, setzte sich in einem Wissenschaftswettbewerb gegen weit komplexere Modelle durch. Das Prinzip ist einfach: Es wird nur dann vom kooperativen Verhalten abgewichen, wenn die andere Person das auch tut. Die Dynamiken zwischen eher kooperierenden und eher defektierenden Menschen wurden ebenfalls genauer unter die Lupe genommen - da Defektoren sich zunächst kurzfristig behaupten, war besonders interessant herauszufinden, unter welchen Bedingungen das Blatt sich wenden kann.
Im 21. Jahrhundert setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Menschen nicht autark oder in ständiger Konkurrenz zu anderen leben können und dass Menschen zwar unter Umständen manipulierbar, nicht aber kontrollierbar sind - wir sind auf Kooperation und Vertrauen angewiesen und können Phänomene wie den Klimawandel oder Globalisierung nur gemeinsam in sogenannten Superkooperationen lösen.
Die Thesen und Erkenntnisse werfen bei mir einige Fragen auf, u.a.:
- Wenn es z.B. um Kosten-Nutzen-Erwägungen bei Entscheidungen für oder gegen Kooperation geht, wäre zu beachten, dass Menschen unterschiedliche Ausgangsbedingungen und damit Vorstellungen davon haben, wie hoch die Kosten oder der Nutzen sind. Der eine muss sich mehr anstrengen als der andere aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen Dies kann mathematisch noch modelliert werden, aber was ist mit der Situation, wo die eine eine andere Vorstellung von Nutzen hat, die mit dem allergrößten Aufwand nicht erbracht werden kann, da es um eine bestimmte Qualität geht?
- Wenn Vertrauen die Kooperation dominiert, kann man de facto nicht mehr kontrollieren, ob man den höchsten Nutzen aus der Verbindung bekommt, da das Vertrauen an sich ein Wert ist, der sich dadurch definiert, dass Kooperation eben nicht erzwungen wird, sondern dass die Person sich freiwillig und wiederholt dafür entscheidet, den anderen mitzudenken. Hier spielen neben rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulationen auch die Erwägungen zum Motiv für Kooperation mit hinein und ab wann ein Vertrauen wirklich als solches bezeichnet werden kann - wie oft muss ich aus altruistischen Motiven heraus kooperieren, damit ich die Reputation einer kooperativen Person erlange und was muss passieren, damit sich dieses Verhalten evtl. irgendwann sogar als neue Spielregel etabliert?
- Interessant war hier auch die Erkenntnis, dass Spielregeln nie statisch sind, sondern dass bestimmte Zyklen entstehen, in denen mehr oder wieder weniger kooperiert wird.
Für Mediation in Gruppen:
- Wie können verborgene Informationen, die das Abwägen von Kosten und Nutzen betreffen, transparenter gemacht werden wenn die Kooperationskultur nicht gut ist und man mir daher nicht offen sagen wird, welche Erwägungen wichtig sind?
- Welche geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln gibt es bzw. wie sehr hat eine Gruppe sich organisiert - wem nützen die Regeln? Sind es Spielregeln, die das Wohl aller fördern? Sehen das alle so?
- Welche Werte und Prinzipien werden gelebt? Evtl. Beispiele für typische Abläufe geben lassen. Dies kann eine Überprüfung der Spielregeln ermöglichen.
- Wenn sich ein Team oder eine Gruppe auf ein Level von Kooperation eingependelt hat - wie groß sind die Chancen, dass es auf ein höheres Niveau der Kooperation kommt? Wie können Anreize oder Sanktionen sowie Reflektion dazu beitragen oder gibt es Dynamiken, wo ein niedriges Niveau an Zusammenarbeit nicht zu verändern ist, da keine der Stellschrauben für bessere Bedingungen verändert werden können?
Fazit
Faszinierend bleibt für mich die mathematische Perspektive auf Kooperation, die Modellierbarkeit. In der Realität haben sich tatsächlich schon einige Weltkrisen abwenden lassen, weil die Spieltheorie nicht bis ins Letzte konsequent angewendet wurde.
- Das Originalbuch ist u.a. gebraucht hier zu erhalten.
Die Studie vom April 2024: Dynamics of collective cooperation under personalised strategy updates: https://www.nature.com/articles/s41467-024-47380-8#author-information (letzter Aufruf: 08.07.2024)