Drei Mythen über Konfliktlösung
Kooperation als Überlebensprinzip - uralt und aktuell zugleich
Mathematik, Evolution, Spieltheorie
Was haben Mathematik, Evolutionsforschung und Spieltheorie mit Kooperation zu tun? Ziemlich viel, wie Martin A. Nowak und Roger Highfield in ihrem Beststelleer "Kooperative Intelligenz - das Erfolgsgeheimnis der Evolution" 2013 überzeugend dargelegt hatten.
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Kooperation trieb die Evolution voran
Die These des "survival of the fittest" scheint vielen Skeptikern überzeugend: Alle wollen schließlich gewinnen, und die Stärksten setzen sich durch, oder? Diese Theorie wurde schon oft untersucht, und auch die beiden o.g. Forscher widmeten sich ihrer Ausdifferenzierung. Sie fanden heraus, dass das Übertrumpfen anderer in einem Wettbewerb zwar kurzfristig zu Vorteilen führte, langfristig aber das Prinzip der Kooperation, das Überleben auf der Erde sicherstellte. Von riesigen Netzwerken über familiäre Verbindungen bis hin zu altruistischen Taten für den Erhalt der Art oder der Kooperationsbeziehung ist in der Natur inkl. homo sapiens Zusammenarbeit vielfach das dominante Prinzip. Nach dieser Logik wird das beste Resultat für alle erzielt, wenn das Gesamtwohl mitbedacht wird. Die besten Bedingungen hierfür wurden anhand mathematischer Modellierungen und Computersimulationen mit riesigen Datenmengen erforscht, wobei unter anderem das "Gefangenendilemma" als Ausgangspunkt diente.
Kooperation von KollektivenBei Multilevel-Selektion geht es speziell um die Kooperationen von Kollektiven. In unstrukturierten Gruppen, die über ihr Verhalten nicht reflektieren und keine Sanktionen setzen, hat ein gemeinsames Wohl keine Chance, das ist wissenschaftlich mittlerweile erwiesen. Daher konzentrierte man sich auf verschiedene Varianten strukturierter Gruppen, um herauszufinden, welche Bedingungen das Wohl aller besonders begünstigt und welche Spielregeln man hierüber aufstellen kann.
Zum einen fand man bei homogenen Gruppen heraus (homogen = jeder Person hat ungefähr dieselbe Anzahl Kontakte), dass die Tendenz zur Kooperation steigt wenn der Nutzen im Verhältnis zur Anzahl der Kontakte groß genug ist. Wenn also mehr Kontakte da sind muss ein Extra-Anreiz geboten werden.
Vor drei Monaten veröffentlichte ein internationales Forscherteam in der Zeitschrift "nature communications" nun ein Ergebnis zu heterogenen Gruppen (heterogen=jede Person hat unterschiedlich viele Kontakte). Bisher ging man davon aus, dass bei heterogenen Gruppen Kooperation noch schwieriger wird. Der Parameter "Neigung, seine Meinung/Strategie zu ändern" wurde aus der Gesamtrechnung herausgezogen und getrennt betrachtet, da Menschen tatsächlich unterschiedlich sind hinsichtlich dieser Neigung. Es kam heraus - je mehr Kontakte jemand in einer Gruppe hat und desto weniger die Person ihre Strategie ändert, desto mehr neigt eine Gruppe zur Umsetzung des Gemeinwohls - sogar mehr als homogene Gruppen.
Wievel lohnt es sich reinzugeben, wieviel erhalte ich zurück?
Grundsätzlich besteht bei Kooperation nach rein rationalen Spielregeln das Problem, wieviel man bereit ist zu geben und wieviel man zurückbekommt. Es besteht immer das Risiko von der anderen Seite ausgenutzt zu werden. Das Ausloten von Risiken und Vorteilen die Berücksichtigung von Motiven, früheren Entscheidungen und das Wissen darum, dass die andere Seite sich dieselben Fragen stellt, gehören zu den schwierigen Fragen, die sich die Mathematiker stellten. Im Ergebnis waren Strategien für erfolgreiche Kooperation nicht kompliziert, sondern folgten einfachen Parametern. Das Computermodell, das die "wie du mir so ich dir"-Strategie nachahmte, setzte sich in einem Wissenschaftswettbewerb gegen weit komplexere Modelle durch. Das Prinzip ist einfach: Es wird nur dann vom kooperativen Verhalten abgewichen, wenn die andere Person das auch tut. Die Dynamiken zwischen eher kooperierenden und eher defektierenden Menschen wurden ebenfalls genauer unter die Lupe genommen - da Defektoren sich zunächst kurzfristig behaupten, war besonders interessant herauszufinden, unter welchen Bedingungen das Blatt sich wenden kann.
Im 21. Jahrhundert setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Menschen nicht autark oder in ständiger Konkurrenz zu anderen leben können und dass Menschen zwar unter Umständen manipulierbar, nicht aber kontrollierbar sind - wir sind auf Kooperation und Vertrauen angewiesen und können Phänomene wie den Klimawandel oder Globalisierung nur gemeinsam in sogenannten Superkooperationen lösen.
Die Thesen und Erkenntnisse werfen bei mir einige Fragen auf, u.a.:
- Wenn es z.B. um Kosten-Nutzen-Erwägungen bei Entscheidungen für oder gegen Kooperation geht, wäre zu beachten, dass Menschen unterschiedliche Ausgangsbedingungen und damit Vorstellungen davon haben, wie hoch die Kosten oder der Nutzen sind. Der eine muss sich mehr anstrengen als der andere aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen Dies kann mathematisch noch modelliert werden, aber was ist mit der Situation, wo die eine eine andere Vorstellung von Nutzen hat, die mit dem allergrößten Aufwand nicht erbracht werden kann, da es um eine bestimmte Qualität geht?
- Wenn Vertrauen die Kooperation dominiert, kann man de facto nicht mehr kontrollieren, ob man den höchsten Nutzen aus der Verbindung bekommt, da das Vertrauen an sich ein Wert ist, der sich dadurch definiert, dass Kooperation eben nicht erzwungen wird, sondern dass die Person sich freiwillig und wiederholt dafür entscheidet, den anderen mitzudenken. Hier spielen neben rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulationen auch die Erwägungen zum Motiv für Kooperation mit hinein und ab wann ein Vertrauen wirklich als solches bezeichnet werden kann - wie oft muss ich aus altruistischen Motiven heraus kooperieren, damit ich die Reputation einer kooperativen Person erlange und was muss passieren, damit sich dieses Verhalten evtl. irgendwann sogar als neue Spielregel etabliert?
- Interessant war hier auch die Erkenntnis, dass Spielregeln nie statisch sind, sondern dass bestimmte Zyklen entstehen, in denen mehr oder wieder weniger kooperiert wird.
Für Mediation in Gruppen:
- Wie können verborgene Informationen, die das Abwägen von Kosten und Nutzen betreffen, transparenter gemacht werden wenn die Kooperationskultur nicht gut ist und man mir daher nicht offen sagen wird, welche Erwägungen wichtig sind?
- Welche geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln gibt es bzw. wie sehr hat eine Gruppe sich organisiert - wem nützen die Regeln? Sind es Spielregeln, die das Wohl aller fördern? Sehen das alle so?
- Welche Werte und Prinzipien werden gelebt? Evtl. Beispiele für typische Abläufe geben lassen. Dies kann eine Überprüfung der Spielregeln ermöglichen.
- Wenn sich ein Team oder eine Gruppe auf ein Level von Kooperation eingependelt hat - wie groß sind die Chancen, dass es auf ein höheres Niveau der Kooperation kommt? Wie können Anreize oder Sanktionen sowie Reflektion dazu beitragen oder gibt es Dynamiken, wo ein niedriges Niveau an Zusammenarbeit nicht zu verändern ist, da keine der Stellschrauben für bessere Bedingungen verändert werden können?
Fazit
Faszinierend bleibt für mich die mathematische Perspektive auf Kooperation, die Modellierbarkeit. In der Realität haben sich tatsächlich schon einige Weltkrisen abwenden lassen, weil die Spieltheorie nicht bis ins Letzte konsequent angewendet wurde.
- Das Originalbuch ist u.a. gebraucht hier zu erhalten.
Die Studie vom April 2024: Dynamics of collective cooperation under personalised strategy updates: https://www.nature.com/articles/s41467-024-47380-8#author-information (letzter Aufruf: 08.07.2024)
Glückwunsch, Dieudonné! - Preis für Frieden und Versöhnung an meinen früheren Chef in Burundi
Dieudonné Kibinakanwa hat den Mietek-Pemper-Preis für Frieden und Versöhnung der Stadt Augsburg erhalten, was mich sehr freut.
Ein Interview, das ich mit ihm geführt habe, ist anlässlich der Preisverleihung in der Fachzeitschrift "Spektrum der Mediation" - Ausgabe Demokratie stärken - des Bundesverbandes für Mediation erschienen.Hier erklrät Dieudonné, wie er dazu kam, Mediator zu werden, was Mediation in Burundi anders macht als in Deutschland und was wichtige Mehoden und Ansätze in der Mediation seiner Erfahrung nach sind.
Ich hatte außerdem Gelegenheit, bei der Preisverleihung dabei zu sein und ihn und seine Frau endlich wiederzusehen.
Zygmunt Baumans „Flüchtige Moderne“ und drei Antworten der Mediation
"Dominanz
(über den anderen) entsteht durch die eigene Fähigkeit zu
entkommen, sich zu lösen, 'woanders' zu sein."
Nähe
und Distanz sind Kernaspekte jeder Beziehung, werden mit
Persönlichkeitstypen verbunden, werden aber auch sozial
ausgehandelt. In einer meiner letzten Mediationen sagte diejenige,
die distanzierter war, immer: “Kein Problem”, und schaute
nach unten. Ich strengte mich an. Ich wollte mich noch mehr in sie
einfühlen als sonst, da sie so wenig aus sich heraus kam und damit
auch nicht gesehen werden konnte. Ich fragte sie, ob nicht eventuell
Folgendes in ihr vorgehen könnte, und ich übertrieb ein wenig, um
ihr die Gefühle vorzuschlagen, die ich hinter ihrer Fassade vermutete:
“Kommt die doch schon wieder so an, was soll das eigentlich! Will die
mich auf den Arm nehmen? Immer wenn die so mit mir redet, bin ich
total empört!” Und fragte dann: “Stimmt es, waren Sie empört
oder war es ganz anders?” Da sagte sie: “'Empört' stimmt”, und
schaute dabei zum ersten Mal hoch und mir direkt in die Augen.
Eigentlich ist es mit Nähe und Distanz wie mit Ebbe und Flut – man
braucht beide, man hat beide in sich, in einer guten Beziehung ist
für beides Platz. Woanders sein kann ich
auch im selben Raum. In einer Mediation spricht man davon, die
Menschen “abzuholen”, das heißt, man ist genau da, wo auch sie sind und schafft eine für sie angemessene Nähe, in der sie im besten Fall ganz sie selbst sein dürfen und gesehen werden.
"Globalisierung ist die letzte Hoffnung, dass es einen Ort gibt, an den man gehen und Glück finden kann."
Als
ich in Malawi und später Burundi lebte, waren diese Länder für einige
Europäer wahre Sehnsuchtsorte – sie hofften, hier besser, freier,
glücklicher, sonniger... als in Europa leben zu können. Globale Rankings zeigen auf, welche Universitäten, Städte oder Unternehmen im globalen Vergleich besonders leistungsstark seien - gemessen an Kriterien, von denen man nicht genau weiß, wer sie eigentlich aufgestellt hat.
Ich kann aus verschiedenen Motiven heraus an einen Sehnsuchtsort gehen wollen oder vergleichen, wie Bedingungen anderswo sind. Ich kann rational Informationen gewinnen und mich anspornen lassen, meine ZIele besser zu erreichen. Ich kann etwas Bestimmtes suchen und hoffen, es woanders zu finden. Ich kann einen Blick für Mängel entwickelt haben - worin bin ich oder ist jemand anders nicht so gut wie jemand Drittes? In letzteren Fällen werde ich vielleicht auch an meinem Sehnsuchtsort oder einem global als innovativ und erfolgreich eingestuften Unternehmen enttäuscht, weil ich nicht finde, was ich suche. Das Vergleichen zeigt mir auch auf, wie ausschnitthaft ich das Leben sehe und welche Ausschnitte ich mir bewusst oder unbewusst immer wieder gern aussuche.
In einer Mediation waren Vereinsmitglieder von ihrer Vorsitzenden
enttäuscht – sie sei zu weich, andere Vorsitzende
erzielten laufend Fortschritte, sie aber kriege nichts hin, eine
wichtige Maßnahme war gescheitert. Die Vorsitzende
sagte: “Mag sein, ich bin ein weicher Typ. Aber daran scheiterte unser
Plan nicht, es
gab andere Gründe.” Die Vereinsmitglieder fanden in der Mediation
heraus, welche. Weil sie nicht alles hatten miterleben und sehen können
und unter großem Druck standen, hatten sie sich Gründe aus dem
ausschnitthaften Erleben herausgesucht. Durch die Mediation gewannen sie
wieder ein vollständigeres Bild ihrer Vorsitzenden und der
Gesamtsituation, und die Vergleiche waren nicht mehr nötig, weil sie am Ende des Gesprächs gefunden hatten, was sie gesucht hatten.
In meiner früheren Arbeitswelt erlebte ich junge Leute, die begeistert aus ihrem Freiwilligenjahr in armen Dörfern in Ländern Afrikas wiederkamen und schwärmten: “In Tansania wurden mir die Augen geöffnet - jetzt mache ich alles anders!" Einige wurden Aktivisten und wollten nur noch davon erzählen, was sie Großartiges erlebt hatten. Aus ihren Berichten hörte ich heraus, dass im Ausland auf einmal alles viel erfrischender war. Das, was sie gefunden hatten, stand in keinem Ranking oben, und es war definitiv nicht das, was sie gesucht hatten. Aber sie hatten sich von den Suchen und Vergleichen im Kopf gelöst und waren frei.
"Die soziale Ordnung wird durch Konfrontation, Debatte, Verhandlung und Kompromiss zwischen Werten, Präferenzen und gewählten Lebensweisen und Selbstidentifikationen vieler und unterschiedlicher, aber immer selbstbestimmter Mitglieder der Polis geschaffen."
Die
Welt ist größer geworden, und die Entscheidungen und Hierarchien gehen über unser
eigenes Land hinaus. Wie können wir dennoch die gesellschaftliche Debatte, das Ringen um das für uns angemessene "gute und schöne Leben" fortführen, auch mit Neuankömmlingen in unserem Land, auch, wenn Bezüge auf einmal so komplex und global sind?
In einem Gespräch Ende letzten Jahres klärten
wir einen eskalierten Konflikt über völlig konträre Arbeitsstile
nur wenige Zeit vor einer wichtigen externen Evaluation. Am Ende fiel
jemandem auf: “Ach, jetzt sehe ich es erst: Wir arbeiten alle an der Internationalisierung medizinischer Forschung, aber haben übersehen, dass wir hier ja auch mit Diversität zu tun haben. Da hatten wir anscheinend
auch Missverständnisse...” Und dann plötzlich sagte jemand von der
anderen Seite: “Ich verstehe auch nicht alles so gut. Bitte seht es
mir nach, Deutsch habe ich gerade erst gelernt.” Plötzlich waren
sie einander nicht mehr ganz so böse. Die Welt mag komplex sein, aber wir begegnen einander immer als Menschen, und die Debatte und das Gespräch sind auch deshalb wichtig, damit wir uns immer wieder als solche erkennen und schätzen lernen können.
Die
Wahrheit kann nur am Ende eines Gesprächs auftauchen, und in einem
aufrichtigen Gespräch (das heißt, es handelt sich nicht um ein in
Tarnung gehaltenes Selbstgespräch), weiß keiner der
Gesprächspartner oder kann mit Sicherheit wissen, wann sie endet -
das gibt es.
Quelle: Flüchtige Moderne - Zygmunt Bauman
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Vie Studio
Startup, Stock Photos
Jobs in der Mediation und Friedensarbeit
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ReferentIn Spendenwerbung/Dialogmarketing Weltfriedensdienst, Berlin, Bewerbungsschluss: 14.02.2021
Stiftung Warentest 10/2020 empfiehlt Mediation
Vorteile einer außergerichtlichen Einigung, die in dem Artikel genannt werden, sind:
- Meist wird eine gütliche Einigung erzielt
- Die Verfahren sind günstiger und schneller.
- Am Ende steht eine schriftlich fixierte Lösung, die rechtlich bindend ist.
Der Artikel gibt außerdem Orientierung darüber, welche Anlaufstellen für welche Fälle besonders geeignet seien, z.B. Konflikte mit einem Online-Shop könne man über eine Verbraucherschlichtungsstelle lösen, Nachbarschaftskonflikte über ein Schiedsamt, Streit mit einem Handwerker über eine Schlichtung und private, beziehungsorientierte Konflikte wie z.B. Trennungen von Eltern mit Kindern über eine Mediation. Diese wird außerdem als etwas teurer als eine Schlichtung dargestellt.
Außerdem weist der Artikel darauf hin, dass diese alternativen Verfahren vom Staat unterstützt würden, u.a. um die Gerichte zu entlasten.
Ich finde es gut, dass so eine glaubwürdige Einrichtung wie die Stiftung Warentest auf Mediation und Schlichtungsverfahren hinweist und diese empfiehlt. In der Differenzierung zwischen einzelnen Verfahren gehe ich nicht ganz mit, da Mediation nicht nur rein beziehungsorientierte Konflikte lösen kann, sondern auch sachorientierte Probleme und weil das Verfahren auch für größere Gruppen oder im professionellen Bereich wie z.B. in der Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft oder Nachbarschaft geeignet ist. Ich kenne kaum ein Gebiet, in dem es nicht schon einmal eingesetzt wurde - ein Mediator bietet Mediation speziell für Bands an, eine andere Mediatorin Umweltmediation usw.
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Dazu fiel mir noch ein interessantes Praxisbeispiel des NDR vom Juni diesen Jahres ein, das von "Mediation in Orchestern" handelt und darstellt, wie das Verfahren abläuft und was die Wirkung auf ein Orchester war.
Viel Freude beim Lesen!
Vorteile, Probleme und Tipps für Multi-Akteurs-Allianzen
- Ressourcen: Mehrere Investoren tragen gemeinsam die finanzielle und operationelle Verantwortung.
- Differenzierung der Lösungsansätze: Expertise verschiedener Sektoren kommt zusammen und führt zu intelligenteren Lösungen.
- Synergie-Effekte und fachliche Weiterentwicklungen: Überwindung von Silo-Denken schafft sinnvolle neue Verbindungen z.B. zwischen Praktikern und Theoretikern oder zwischen Projektleitern benachbarter Branchen.
- Größere Reichweite: Dies betrifft sowohl die Umsetzung der Maßnahme als auch ihre Bekanntmachung in der Öffentlichkeit. Bei internationalen Projekten steigert sich dieser Faktor noch um die Aussicht, das eigene Wirkungsfeld auch langfristig im Ausland zu vergrößern und interkulturelle sowie technische Expertise zu stärken.
- Inspiration und gegenseitiges Lernen: Das Aufbrechen traditioneller Arbeitsbeziehungen führt zu selbständigerem Arbeiten, erweitert die Kompetenzen der Mitarbeitenden und fördert die Arbeitsmotivation.
Ebenso eindeutig sind aber auch die Probleme, die sich bei solchen Formen der Zusammenarbeit ergeben:
- Rechenschaftslegung: Mehrere Projektverantwortliche, gemeinsame Erarbeitung von Zielen, Programmen und Aktivitäten, aber es gibt nur eine hauptverantwortliche Organisation. Diese verantwortet die Ergebnisse, aber hat keine Kontrolle oder disziplinarische Führungsgewalt über Mitarbeitende der Partner. Kollektive und individuelle Verantwortlichkeiten passen nicht zusammen. Hier spielen weiche Faktoren der Zusammenarbeit eine stärkere Rolle, und Rechenschaftslegung sollte frühzeitig verbindlich geklärt werden, ohne die Aufbruchsstimmung zu Anfang zu beeinträchtigen.
- Komplexität: Jede Organisation wirkt in einem anderen Kontext und hat ihre eigene Kultur, ihre eigenen, auch ungeschriebenen, Spielregeln. Die Notwendigkeit, ein Problem gemeinsam anzugehen, rührt oft auch von einer komplexen Problemlage her oder aber es gibt politische Interessen, die die Realitäten vor Ort ignorieren und somit zusätzliche Herausforderungen schaffen. Die Zusammenarbeit wird weniger planbar, es treten Engpässe auf, die Mitarbeitende stark beanspruchen, Missverständnisse treten auf. Hier kann z.B. in der Zeitplanung, Führung und Prioritätensetzung von Anfang an Puffer für das Management der Allianz eingeplant werden und alle Mitwirkenden sollten dafür sensibilisiert sein, diese Meta-Ebene mitzudenken und mitzugestalten.
- Machtkonflikte: Einerseits möchte man gemeinsam ein größereres Ziel erreichen, andererseits wirken teils wichtigere Verpflichtungen und teils unterschiedliche Anteile an der Umsetzung auf das Beziehungsgeflecht ein. Einige Akteure haben somit mehr Interesse, Ressourcen und damit auch Einfluss auf die Arbeit als andere. Dennoch werden alle Akteure gebraucht, um das Projekt erfolgreich umzusetzen. Das Ausbalancieren dieser Konstellationen erfordert Bewusstsein darüber und Fingerspitzengefühl, teils auch Zugeständnisse. Diese sollten aber der Sache dienen. Strukturen und Prozesse sollten sich während der Umsetzungsphase im Sinne eines "lernenden Projekts" weiterentwickeln können.
- Unterschiedliche Motivationen der einzelnen Akteure: Besonders, wenn diese erst spät sichtbar werden, ist es herausfordernd, produktiv weiterzuarbeiten. Ein Fokus auf die Vorteile der Zusammenarbeit und das Gemeinsame kann helfen, die unterschiedlichen Motivationen und Interessen zu vereinen. Es kann auch gut sein, diese einmal auszusprechen, ohne dass irgendetwas tabuisiert wird.
Prozessexpertise ergänzt hier notwendigerweise die Fachexpertise. Außerdem spielen Softskills stärker eine Rolle. Das Ergebnis ist nicht immer sofort messbar, also sollte auch über Veränderungen in der Kultur der Evaluierungen nachgedacht werden. Die eigentliche Wirkung kann später oder in einem anderen Feld, z.B. im erweiterten Netzwerk und nicht direkt bei den Zielgruppen, auftreten. Dies sollte bei Evaluierungen berücksichtigt werden.
Beteiligungskompass: Top 5 aktuelle Publikationen
Wie die Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtags, Aminata Touré es sagt: " (...)warum setzen wir uns mit dem Problem hinter der Gewalt nur auseinander, wenn gerade etwas passiert ist? Strukturelle Gewalt ist Alltag."
In den aktuellen Debatten um Themen wie Migration, Integration und Rassismus ist immer wieder die tieferliegende Frage zu erkennen: Wie können DeutschPlus-Menschen in Deutschland mehr Sichtbarkeit und gleiche Rechte bekommen - teilhaben am ganz normalen gesellschaftlichen Leben?
Hier sind fünf Publikationen, die mit ihren Erkenntnissen zu Antworten beitragen:
- Onlinebefragung (Mai/Juni 2020) über Lebensrealitäten und Diskriminierungserfahrungen von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland von EOTO, Citizens of Europe und Vielfalt Entscheidet: Daten haben Einfluss, Politik und Wirtschaft werden aufmerksamer und außerdem erhält eine in Zahlen erhobene Gruppe mehr Gewicht - und die Teilnehmenden der Studie erfahren eine Form von Anerkennung: "Afrozensus".
- Artikel von MEDIUS GmbH in Mediation aktuell (Mai 2020) zu kommunalem Krisenmanagement. Wenn eine Gesellschaft langsam integrierter wird, können mehr Konflikte an die Oberfläche kommen - warum das gut so ist und was mit Mediation auf kommunaler Ebene erreicht werden kann hat eine Studie drei Jahre lang erforscht: "Integrationsparadox und Konfliktmanagement".
- Studie (April 2020) des Mediendienstes Integration darüber, wie wir eingewanderte Menschen oder solche mit internationalem Hintergrund bezeichnen. Man könnte noch angemessenere Begriffe finden als "Menschen mit Migrationshintergrund", um differenzierter, klarer und wertschätzender zu formulieren - z.B. Menschen aus Einwandererfamilien, postmigrantisch oder DeutschPlus: Alternative zum Begriff "Migrationshintergrund".
- Jahresgutachten 2020 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen (April 2020) zum Thema "Migration aus Afrika nach Europa". Zwei meiner Lieblingsthesen: Wir wissen noch viel zu wenig über Afrika und seine Vielfalt. Und: Migrantisch-diasporische Gruppen müssen mitreden dürfen!
- Studie von IAB (März 2020) zeigt, dass soziale Kontakte Migranten helfen, in Deutschland einen Job zu finden - allerdings fehlen noch Erkenntnisse zur nötigen Größe ihrer Netzwerke und der Qualität der neuen Stelle. Dies erfordert weitere Forschung: Arbeitsmarktchancen von Migranten und dem Einfluss von sozialen Netzwerken.
Was ich gerade lese - Weiß-Sein unter die Lupe genommen
Nachdem Tupoka Ogettes geplante Lesung Ende März wegen der Corona-Krise abgesagt wurde, nahm ich mir vor, ihr Buch zu leihen. Gleichzeitig empfahl eine Bloggerin der Healing-Solidarity-Bewegung zwei Bücher, die ich früher schon einmal hatte lesen wollen, also wurde es mal Zeit.... Hier sind sie:
Ich habe mit "White Fragility" angefangen. Die US-amerikanische Autorin Robin DiAngelo analysiert, wie verwundbar die meisten der weißen Menschen dieser Welt reagieren, wenn man sie mit ihrer eigenen Hautfarbe konfrontiert. Ich stutzte erst einmal - ja, tatsächlich, wann setze ich mich als Weiße schon damit auseinander, dass ich weiß bin? Meine spontane Reaktion wäre für mich noch vor acht, neun Jahren gewesen: Was soll das denn schon Besonderes zu bedeuten haben? Ich habe mich sechs Jahre lang in Afrika und später hier in Deutschland damit auseinandergesetzt - aber das muss man als Weiße nicht in der Tiefe. Zum Glück hatte ich kritische malawische Kolleginnen, die mir einige für mich neue Wahrheiten ziemlich klar vor Augen führten und nicht ein bisschen Mitleid mit mir hatten. (Ein großer Dank an Linda, Matinda und Ann!) In dem Buch legt DiAngelo dar, dass alte Strukturen, die die Dominanz unserer westlichen Gesellschaften bis heute in der Welt sicherten, dafür sorgten, dass sich Weiße nicht mit diesen Fragen beschäftigen oder zumindest nicht allzu intensiv, weil sie Weiß-Sein immer als "die Norm" erlebten (nicht nur in Ländern, wo es wenige Schwarze gibt). DiAngelo ist eine ziemlich glaubwürdige Autorin, da sie vor ihrer Universitätskarriere lange Jahre Fortbildungen zum Thema "Rassismus" durchführte und bei ihren Seminarteilnehmenden immer wieder auf dieselben Widerstände stieß. Sie wunderte sich immer mehr darüber, weshalb Leute ein Seminar zu "Rassismus" buchten, dann aber nicht darüber sprechen wollten, sondern alles damit Zusammenhängende als "übertrieben" abwiesen und sich verletzt fühlten. DiAngelo plädiert für eine erforschend-neugierige Haltung Rassismus und dem eigenen Verhalten als Weißer oder Weißem gegenüber, die es ermöglicht, Kommunikation in ein Gleichgewicht mit Schwarzen Menschen zu bringen, ihnen zu glauben und sie zu stärken.
Noch einen Schritt weiter geht der US-amerikanische Psychologe Resmaa Menakem in seinem Buch "My Grandmother's Hands". Er erklärt ebenfalls Mechanismen des Rassismus, aber aus der Perspektive eines Trauma-Therapeuten. Er bringt mit der Trauma-Logik Licht in die völlig unerklärlichen, täglichen Kurzschlusshandlungen US-amerikanischer Polizisten, die die Erschießung unbewaffneter Schwarzer auf offener Straße zur Folge haben. Er vertritt außerdem die Perspektive eines Körpertherapeuten, die sehr spannend ist, da Tabuthemen sowie intellektuelle und emotionale Schutzschilde in Sachen Rassismus beschrieben werden, ungefähr nach dem Motto "Deinem Körper ist es egal, wie gebildet und tolerant du bist - er will sich sicher fühlen, und ein Schwarzer Mensch gibt vielen Weißen ein Gefühl von Unsicherheit". Menakems geschichtliche Rückschau zeigt, dass Weiße sich gegenseitig traumatisierten, seit es im Mittelalter eine Geschichte von Unterdrückung und Feudalismus gegeben habe, und dass sie die Gewalt an die Schwächeren der US-amerikanischen Gesellschaft weitergaben. Er geht auf Quellen ein, die belegen, dass "Weiß-Sein" auch für Iren oder Italiener ein Status gewesen sei, den sie am Anfang nicht innehatten, und dass die Restriktion des Zugangs zu diesem Status der Oberschicht geholfen habe, die arme Unterschicht zu spalten. Seit es Rassismus gibt, kann sich der weiße Mensch der Unterschicht immer noch als etwas besser fühlen als der Schwarze aus derselben Unterschicht. Das Buch enthält etliche Übungen für Schwarze und weiße Menschen überall in der Welt sowie für Angehörige der Polizei. Die Übungen helfen dabei, traumatischen Stress zu reduzieren und sich bewusster zu verhalten. Nachdem ich in Burundi begonnen hatte, mich mit Trauma zu beschäftigen, war ich fasziniert von dem Buch, da ich es besonders tiefgründig finde und die Sichtweise meiner Meinung nach Opfern und Tätern hilft, Verletzungen anzunehmen und zu überwinden und somit erst den Weg frei zu machen für Veränderung. Der Autor erleichterte mir außerdem das Lesen durch seinen Stil - er schreibt in einem extrem freundlichen, entspannten Tonfall und auf Augenhöhe mit den Lesenden. Ich habe die Übungen gemacht, mache sie weiterhin und kann das Buch sehr empfehlen.
Schließlich habe ich die Beobachtungen der US-amerikanischen Autoren in meinem eigenen lokalen deutschen Kontext wiederfinden wollen, wofür Tupoka Ogettes "Exit Racism" einen wunderbaren Leitfaden anbietet. Auch diese Autorin führt seit Jahren Fortbildungen zum Thema "Rassismus" durch, auch sie erlebt und beschreibt dieselben Widerstände bei ihren Kursteilnehmenden wie DiAngelo und sie erklärt wie Menakem geschichtliche Hintergründe zum besseren Verständnis rassistischer gesellschaftlicher Mechanismen. Das Buch ist außerdem mit Scan-Codes ausgestattet, die der Leserin oder dem Leser weiterführendes Material anbieten. Wie Menakem gelingt es auch dieser Autorin, die harten Brocken der Rassismus-Aufklärung mit ihrem freundlichen, dem Lesenden zugewandten und verständnisvollen Stil so genießbar zu machen, dass ich kaum verstehe, wie jemand noch protestieren kann. Am meisten ging mir dabei der Film "The Doll Test" unter die Haut, der seit 1940 wiederholte Male mit Schwarzen Kindergartenkindern durchgeführt wurde. Die Kleinkinder wurden gebeten, schwarze und weiße Puppen zu charakterisieren: "Welche Puppe ist intelligent, hübsch, nett? Welche Puppe ist dumm, hässlich, unfreundlich?" Die Kinder haben zu einem überwältigenden Anteil der weißen Puppe die positiven und der schwarzen Puppe die negativen Attribute zugeschrieben. Zum Schluss fragte man sie: "Welcher Puppe bist du ähnlicher?" - Dann folgte meist eine kleine Pause, bis das Kind auf die schwarze Puppe zeigte. Kinder, von denen man annimmt, sie seien unschuldig, lebten in einem wohlmeinenden Umfeld... haben also schon die Mechanismen von Rassismus verinnerlicht und fangen schon an, sich selbst zu diskriminieren. Das führt so deutlich vor Augen, dass für eine bessere Zukunft jetzt der Zeitpunkt ist, um anders zu handeln - damit die Mechanismen ins Bewusstsein in der Gesellschaft kommen und jeder einzelne sich für ein wahrhaftigeres Miteinander engagiert.
Für Mediatoren - Zoom für Online-Mediation
Welche Software?
Es ist nicht so,
dass Menschen abgeschnitten
voneinander "allein durch die Krise" müssen - im Gegenteil.
Vorteile der Online-Mediation
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Mediation online besser funktioniert als man denkt, und zwar deshalb:
- Online-Mediation kann Medianten zwingen, sich zu fokussieren.
- Dadurch,
dass das Bildschirm-Anschauen auf die Dauer anstrengend wird, macht man
viele Pausen - das kann die Gemüter beruhigen und Möglichkeit zum
Atemholen geben.
- Die Chat-Funktion und die Abstimm-Funktion können den Prozess durch sinnvolle Zusammenfassungen bzw. Randnotizen beschleunigen.
- Privat-Chat mit einzelnen Personen kann z.B. für Übersetzungen bei mehrsprachigen Mediationen genutzt werden.
- Man bekommt als teilnehmende Person über das Bild der Webkamera eine unmittelbare Rückmeldung dazu, wie man selbst eigentlich gerade rüberkommt.
- Sitzungen können aufgezeichnet werden und erleichtern somit die Ergebnissicherung.
- Online-Dokumenten-Ordner in Kombination mit dem Teilen des Bildschirms können als Flipchart-Ersatz dienen.
Wenn Sie weiterlesen möchten, empfehle ich den Erfahrungsbericht eines Coaches,
der während der Corona-Krise auf Online-Coaching umgestellt hat und
überzeugt ist, dass sich das Format auch zukünftig durchsetzen wird.
Ich hoffe, dieser Artikel hat weitergeholfen!
Viel Freude bei der Mediation.
5 Tipps für interkulturelle Verständigung
Bild: Gerd Altmann, Pixabay
Interkulturelle Verständigung ist ein viel
diskutiertes Thema. Einige meiner Kollegen in meinem Netzwerk gehen so
weit, dass Sie die Betonung des Kulturaspekts in zwischenmenschlichen
Begegnungen überzogen finden. Der Diversity-Gedanke geht davon aus:
Kulturen prägen unser Verhalten, aber auch Subkulturen. Alle sind auf eine bestimmte Art und Weise anders, jeder ist einzigartig - erst, wenn wir alle das gefunden haben, was uns einzigartig macht, hört das Diktat der "Norm" auf. Hier spielt auch der Menschenrechtsdiskurs mit hinein bzw. Zugangsgerechtigkeit. Wir können
sogar in unserem eigenen Land auf interkulturelle Verständigung
aufmerksam werden und stattdessen Verständigung zwischen ganz unterschiedlichen Menschen, Subkulturen, entrechteten und machtvollen Menschen erzielen.
Hier meine Top 5 Tipps, mit denen Sie mehr verstehen und sich besser verständigen können:
1. Seien Sie selbst nicht unbewusst zu tief in Ihre eigenen Subkulturen oder Kulturen versunken.
2. Erkennen Sie immer die positive Absicht im Verhalten - ihrem eigenen und dem des anderen.
3. Üben Sie die Trennung von Beobachtung, Deutung und Wertung.
4. Achten Sie auf alles, was Machtasymmetrien zwischen Ihnen und Ihrem Gegenüber betrifft und werden Sie gesellschaftskritischer.
5. Seien Sie integer und leben Ihre Ziele und Werte. Der Weg dahin und die Ziele und Werte der anderen können dann ebensogut besprochen werden.
12 Beispiele für innovatives, junges Sozialunternehmertum aus afrikanischen Ländern
Foto: Free-Photos, Pixabay
2. Green Nettle Textiles: Kenianisches Sozialunternehmen, das mit Bauern kooperiert, um aus Nesseln Kleidung herzustellen. Nebenwirkungen: Die Nesseln halten den Boden in Kaffeeplantagen fest und können als eisenhaltiges Zusatznahrungsmittel genutzt werden.
3. Blank Paperz: Nigerianische Plattform für Aktivisten, die mit Blogging und Storytelling soziale Anliegen vorantreibt und junge Menschen empowert.
4. WEE-Centre Burundi: E-Schrott-Upcyling verbunden mit Computerausstattung von Schulen, Empowerment von Frauen und Jugendlichen und Bäumepflanzen.
5. Prudent Associates Agro-Industry: Ein nigerianisches Unternehmen, das jungen Menschen in Lagos Urban Farming beibringt, damit sie in der Stadt hochqualitative Nahrung für sich herstellen können, anstatt weiter auf Billigimportwaren z.B. aus Europa angewiesen zu sein. Die Gründerin unterrichtet nicht nur vertikale Anbautechniken, Fischzucht und Pilzzucht, sie stellt auch Komposterde und Dünger her und verkauft ihn, promoviert und bekommt gleichzeitig ihr erstes Kind.
6. Media for Deaf: Ruandische Firma, die mit der Herstellung von Fernsehsendungen und anderen Medienprodukten, der Vermittlung von Zeichensprache und Aktivismus Gehörlosen eine Stimme geben und ihnen Mitsprache in gesellschaftlichen Angelegenheiten ermöglicht. Die Gründerin ist Anfang 20 und gibt die Kurse in Zeichensprache selbst.
7. SINA: Sozialunternehmer-Akademie in Uganda, die Waisenkindern ab ca. 14 Jahren aufnimmt und ihnen beibringt, innovative Unternehmen zu gründen und zu betreiben. SINA ist als Holacracy organisiert, d.h. jede und jeder bekommt eine Aufgabe, die sie ausführen, die zum Erhalt der Schule beiträgt - z.B. jemand sorgt dafür, dass es immer Strom gibt. Die Aufgaben werden nach Veranlagung ausgewählt, und man kann sich weiterentwickeln. Dadurch übernehmen alle Verantwortung für die Schule. Zu den Schulabgängern gehört z..B. jemand, der einen Fußbodenbelag aus Eierschalen und Plastiktüten herstellt.
8. Somlite: In Somalia vertreibt ein Jungunternehmer Solarlampen - das Projekt kooperiert mittlerweile mit der Regierung und der Weltbank, um das Projekt zu skalieren.
9. Hanna Longole, die erste Journalistin Karamojas und Gründerin des Ateker Cultural Centre - hier werden traditionelle Bauweisen, Kunstausstellungen, Tanz und andere kulturelle Aktivitäten in einer Art Freilichtmuseium ausgstellt - in einer der Gegenden der Welt, in denen es schon ewig Krieg gibt.
10. Corps des Volontaires Béninois.: So ein ähnliches Projekt gibt es in Norden Benins, wo traditionelle Häuser aufgebaut werden - der Vorteil dabei: Sie sind viel kühler, günstiger und werden mit lokalen Rohstoffen hergestellt.
11. Erzählfestivals, Führungen durch den Wald mit Schauspielern, die alte Märchen aus der Region erzählen und gleichzeitig über Naturschutz aufklären und ähnliches bietet die Association Iminrio, ebenfalls im Norden Benins an. Einer der Gründer managt nebenher noch ein von der EU gefördertes Friedensprojekt.
Was ich gerade lese - Empfehlungen für afrikanische Literatur
Foto: Karoline Caesar
2017 kaufte ich zum ersten Mal die Sammlung von Kurzgeschichten des Caine Prize for African LIterature, der damals aus über 148 Bewerbungen aus 22 afrikanischen Ländern ausgewählt wurde, und ich las den Band in einem Zug durch.
Zwei Geschichten, an die ich mich bis jetzt erinnere:
Die in poetischer Sprache geschriebene Geschichte "The Secret Language of Vowels" von Abdul Adans, einem somalischen Schriftsteller, der zwischendurch in Kasachstan lebte und dann in die USA ging. Die Geschichte setzt sich mit der Hungersnot in Kasachstan in den 1930ern auseinander, bei der eine Million Kasachen starben. Der Erzähler mag seinen Namen nicht und reflektiert über die Ausnutzung von Sprache zu Machtzwecken. In der Geschichte dominieren Menschen bestimmter sozialer Gruppen und Familien, deren Namen den Buchstaben "a" enthalten und klangvoll sind und die den Erzähler ständig unterdrücken oder mobben. Die Beschwerden über "zuviele Konsonanten" oder "die verkehrten Vokale" stehen für viel mehr.
Lesley Nneka Arimah schreibt die sehr unter die Haut gehende, unheimliche Geschichte "Shells" - was bleibt von einem übrig, wenn man nach und nach das Gedächtnis verliert, keine vertrauten Menschen mehr erkennt und jede und jeder, den man nicht mehr erkennt, kennt einen dann auch nicht mehr? Die Hauptfigur entgleitet immer mehr in eine einsame und verwirrte Welt. Das, was übrig bleibt von ihr hat nichts mit dem zu tun, wonach wir in einer modernen Gesellschaft streben sollen, sondern ist etwas ganz anderes.
Daneben gibt es Geschichten von homosexueller Liebe oder vom Aufstand gegen einen Big-Brother-Staat in einem Science-Fiction-Szenario, vom Leben in traditionellen Denkweisen und vielem mehr.
Ich tauchte damals ein in eine erstaunliche andere Welt - bestehend aus alten Denkweisen, die mir durch Begegnungen mit Menschen auf dem Land in Malawi und Burundi vertraut vorkamen, aber auch aus hypermodernen, westlichen Lebensweisen die die Erzähler mit dem Alten zu etwas ganz anderem verwoben. Die Gegensätze so kreativ zusammenzufügen ist eine Stärke dieser Geschichten, die in mir neue Gedanken anstieß. Aber auch die Sprache prägte sich ein - von nüchtern bis blumig, sehr persönlich bis geradezu kalt war alles dabei, und ich spürte Ergriffenheit, Schock, Rührung... Ich kann es kaum erwarten die nächste Kurzgeschichtensammlung zu beginnen, die gerade vor mir liegt!
Friedenskomitees - wenn MediatorInnen sich zusammentun....
Foto: Karoline Caesar
Ich
lernte Mediation zuallererst von den Menschen, die hier oben im Foto abgebildet
sind. Ein Friedenskomitee bestehend aus 14 Mediatorinnen und Mediatoren
von MIPAREC - Ministère Paix et Réconciliation Sous la Croix, einer Organisation von Quäkern in Burundi.
Sie und elf andere Friedenskomitees haben
mir gezeigt, wie sie Mediation nutzten, um die Verbrechen des
Bürgerkriegs mit den Menschen gemeinsam zu verarbeiten. Sie haben mir
von den vielen kleinen Einzelschritten berichtet, die bei den oft sehr
komplexen Landkonflikten zu beachten sind, die sich bisweilen über
Jahrzehnte hinziehen. Von Dritten habe ich von ihrem Engagement in der
Zeit des Bürgerkriegs erfahren - z.B. in der vorderen Reihe die dritte
von rechts ist die Präsidentin des Komitees, sie hat im Bürgerkrieg als
blutjunge Grundschullehrerin Schutzmaßnahmen für ihr Dorf ausgehandelt -
ihre Verhandlungspartner waren Rebellen, die seit Monaten ihr Dorf
plünderten und allen Gewalt antaten, die nicht schnell genug fliehen
konnten. Sie hatte Erfolg. Die Lösung? Die Rebellen sagten den
Dorfbewohnern ab da rechtzeitig Bescheid, wenn sie das nächste Mal in
ihr Dorf kamen - diese verließen dann vorher ihre Häuser, die Rebellen
zogen durch das Dorf, nahmen weniger mit als sonst, dann ging die
Bevölkerung wieder zurück in ihre Häuser.
Das Modell "Friedenskomitee"
Das
Modell der Friedenskomitees ist mittlerweile in ganz Burundi eine
Erfolgsstory geworden, insgesamt gibt es jetzt über 400 Komitees. Jedes
Komitee ist als Verein registriert, und fast alle von MIPARECs Komitees
haben sich selbst auf Eigeninitiative eines oder mehrere Engagierter im
Bürgerkrieg gegründet. Zu dieser Zeit waren es v.a. solche, die eine
Reputation als friedliebende Menschen hatten. MIPAREC schulte sie in
Methoden der Mediation, diese wurden kombiniert mit burundischen
Traditionen bzw. kulturell angepasst. Nach dem Krieg bauten die Komitees
die Häuser für rückkehrende Flüchtlinge und Binnenvertriebene mit auf
und begleiteten den Prozess der Reintegration dieser Menschen.
Vom Mediant zur Mediator
Nach
erfolgreichen Mediationen schlossen sich ihnen MediantInnen aller
gesellschaftlicher Kategorien an - Witwen, Lehrerinnen, ehemalige
Kindersoldaten, Rebellen, Täter und Opfer. Dadurch erhielt das Komitee
Zugang zu all diesen sozialen Gruppen und gewann noch mehr
Glaubwürdigkeit. Wenn sie sich in einer Problemsituation einig waren,
hatte das sehr viel Gewicht, da sie überparteilich im Sinne aller
sprachen und agierten.
Ich habe die Arbeit der Komitees als Beraterin vom Weltfriedensdienst mit meinem damaligen burundischen Kollegen dreieinhalb Jahre lang dokumentiert und ein Methodenhandbuch aufgeschrieben. Hier sind alle diese Publikationen zu finden.
Weshalb sie mich inspirieren
Inspiration
und Bewunderung für die Arbeit der Mediatorinnen und Mediatoren in
Burundi haben mich veranlasst, mich als Mediatorin ausbilden zu lassen.
Bis heute habe ich vor allem die Art und Weise des Umgangs miteinander
und mit MediantInnen verinnerlicht.
Sie ist in meiner
Erinnerung sehr viel wärmer als hier, die Empathie spielt eine ganz
entscheidende Rolle. Gleichzeitig haben die Konfliktparteien alle Zeit
der Welt, um zu reden. Sie werden nicht so schnell unterbrochen, sondern
da ist ganz viel Geduld beim Zuhören. Wenn es Stunden dauert, bis
jemand fertig ist, dann dauert es halt Stunden. Manchmal nimmt man auch
mal eine Person bei der Hand oder berät sie. Shuttle-Mediation wird
häufig angewandt. Die Community oder erweiterte Familie ist manchmal
dabei oder hört sich zumindest zum Schluss das Ergebnis an.
Unentgeltlich müssen Mediationen sein, damit niemand ausgeschlossen wird
und damit die Komitees ihre Integrität bewahren.
Noch mehr Interesse an Details? Hier
gehts zu einem ausführlicheren Artikel über Mediationsmethoden in
Burundi.
Nachtrag Mai 2020: Vor einigen Monaten hat sich außerdem ein deutscher Journalist
näher für die Komitees interessiert - ich konnte ihn mit meinen
MIPAREC-Kollegen vernetzen, und im Brandeins Magazin Februar 2020
erschien dieser Artikel über sie.
Urakoze cane - Danke an Elie
Foto: HROC Burundi
Hier ein paar Worte über die Weisheit, den Mut und die Genialität meines Kollegen und Freundes Elie aus Burundi, den ich sehr schätze.
- Er war einer der Gründer des ersten Friedenskomitees in Burundi. Als sein Freund in einem Massaker beinah ermordet wurde, gab ihm der Gedanke an Elie Kraft. Gemeinsam bauten sie ihren Ort wieder auf.
- Elie stellte sich mir vor als Pfarrer. Früher war er Chauffeur und danach Ingenieur. Er arbeitete auch Vollzeit für unser Projekt.
- Er hatte fünf Häuser gebaut, die er vermietete.
- Daneben besaß er einige Felder, die er bewirtschaftete.
- Als Vater von fünf Kindern tat er viel für die Familie, z.B. sorgte er dafür, dass die Kinder auf gute Schulen kamen, besorgte seiner ältesten Tochter einen Praktikumsplatz nachdem sie ihr erstes Kind bekommen hatte, unternahm längere Spaziergänge mit seinen Kindern oder lud ihre Freunde ein, und sie konnten die halbe Nacht Gitarre spielen.
- Er gründete in 3.5 Jahren zwei eigene kleine Vereine, einer davon versammelte Studenten verschiedener Universitäten, um ihnen Konfliktmanagement-Techniken beizubringen.
- Er war zu der Zeit schon über 50 und besuchte abends die Universität, um seinen Master zu machen (er erhielt die Note "1" dafür).
- Er hatte seine eigene Kirche mit Spendengeldern neu aufgebaut; er sammelte insgesamt ca. 30.000 Euro dafür. Am Anfang arbeitete er gegen den Druck seines Kirchenvorstands, und niemand glaubte, dass er dieses verrückte Projekt zustande bekäme - aber sie irrten sich, die Kirche stand, und am Ende rissen sich die Leute darum, auch noch etwas spenden zu dürfen.
Wie konnte er all das auf einmal tun?
- Manchmal, wenn er Geld hatte, kaufte er ein paar Ziegel und baute sein neues Haus weiter. Wenn er kein Geld hatte, blieb der Rohbau eben erst einmal so stehen.
- Als ich ihn direkt fragte, sagte er, er arbeite immer - auch an Wochenenden und in Urlauben.
- Er schob das Geld von der einen Einnahmequelle hin zu der neuen Einnahmequelle, die er gerade erst aufbaute, um sich weiterzuentwickeln.
- Er war bescheiden in seinem Lebensstil, so dass er seine Energie konzentrieren konnte und sich nicht in allen möglichen Annehmlichkeiten zerstreuen oder sein Geld für gestiegene Ansprüche seines Lebensstils ausgeben musste.
- Was den Kirchenbau anging, sagte er, er habe vor allem Vertrauen gehabt, und das habe er auch seinem Kirchenvorstand gesagt: "Immer, wenn Gott mich segnet, werde ich selbst eine kleine Spende geben". Der Kirchenvorstand habe skeptisch gefragt: "Was, wenn das nicht oft genug passiert?" Aber er fing einfach an.
- Er nutzte Synergie-Effekte zwischen seinen verschiedenen Aktivitäten: Er konnte seine Masterarbeit als Veröffentlichung für die Arbeit unseres Büros nutzen; die zwei NROs, die er gründete, trieben ebenfalls indirekt die Arbeit unseres Büros voran; er hielt auch mal ein Traugespräch auf der Veranda des Büros und nutzte die Kontakte in der Kirchengemeinde für seine Friedensarbeit.
- Er unternahm kleine Schritte und war nicht perfektionistisch. Seine Vereinstätigkeiten hielt er da ab, wo er kostenlos einen Raum bekommen konnte.
- Wenn etwas nicht funktionierte, hörte er damit wieder auf und tat das, was funktionierte.
- Er nahm sich jeden Tag etwas Zeit für sich selbst, seine eigenen Lebensfragen.
Eine seiner Aussagen, die mich zum Denken brachte:
"Für Friedensfachkräfte in Burundi ist die größte Herausforderung, eine Kultur und eine Gesellschaft zu respektieren, von der sie gelernt haben, sie sei unterentwickelt."
Elie ist momentan Leiter der Quäker-Organisation Healing and Rebuilding Our Communities (HROC) und Mitglied der burundischen Wahrheits-und Versöhnungskommission.
Was ich seither anders mache
Ich habe von ihm gelernt, einfach mit all dem anzufangen, was mir wichtig ist und was Sinn macht. Immer das zu tun, was gerade geht. Die eine Aktivität tut auch der anderen gut. Nicht so eine Hetze, nicht nur das Ziel vor Augen haben, auch den Prozess genießen und immer irgendetwas Produktives tun. Nachhaltige kleine Schritte unternehmen mit einem Langzeitziel vor Augen. Ich bin froh ihn zu kennen, denn er hat mich so inspiriert, und wir haben zusammen erfolgreich stille Diplomatie in einigen Konflikten betrieben - so tolle Sachen habe ich seitdem selten wieder gemacht.