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Differenziert kommunizieren, vertrauensvoll handeln

11. Oktober, 2025 um 21:01 Uhr

Zwei Publikationen - eine neu erschienen, eine in 2. Auflage dieses Jahr herausgekommen - waren meine Motivationsquelle, um das Dilemma zwischen Differenzierung und Einheit zu analysieren. Zum einen Brigitte Witzers Buch über "Das Ende der Dominanz" - basierend auf ihren Coachingsitzungen und Erfahrungen mit CEOs börsennotierter Konzerne, Startup-Unternehmen oder hochrangigen Politikern. Zum anderen interessierte mich "Agile Leadership", und ich fand dazu Inspirierendes von Sandra Sieroux et al mit ihrem überarbeiteten Werk. Ich habe außerdem von mir bearbeitete Konfliktfälle aus Organisationen mit einbezogen, da ich die Erfahrungen und Thesen der Autorinnen in diesen wiederfinden konnte.

Kommunikation ist selten so einfach, wie sie scheint. Menschen wägen ab, filtern, berichten selektiv – meistens deshalb, weil es die Voraussetzung für ein langfristiges Zusammenleben ist. Wer das Herz immer auf der Zunge trägt, riskiert Missverständnisse, Verwundbarkeit und Konflikte. Gerade in Arbeitsbeziehungen ist es entscheidend, die Konsequenzen der eigenen Worte zu bedenken. Mit zunehmender Hierarchie und Komplexität wächst die Bedeutung dieses Prinzips: Je verschachtelter die Beziehungsgeflechte, desto systemerhaltender und wichtiger ist die Selbstkontrolle. Aber ein zu glatter Umgang erzeugt oft eine diffuse Art von Stress, da Bedeutungsvolles nicht benannt wird und der zwischenmenschliche Kontakt unterbrochen ist. Kommunikation als Regelungsprinzip der Resonanz wird durch eine Art Starre ersetzt. Dies kann Gefühle von Sinn-oder Hoffnungslosigkeit mit auslösen, da Menschen als soziale Wesen darauf angewiesen sind, in Kontakt zu sein.

Krankmeldungen, verlangsamte Abläufe oder unklare Antworten können ein sinnvolles Ausweichen vor Konflikten sein, Selbstschutz oder sogar Rücksichtnahme. Und doch sind sie ebenfalls Symptome einer Arbeitswelt, in der zunehmende Unübersichtlichkeit ein Nährboden für schlechte Kommunikation und Stress werden kann.

Auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene verändern sich Dynamiken massiv und gleichzeitig leise, ohne, dass die einzelne Person diese mitbestimmen könnte. Ob algorithmische Verhaltenssteuerung im Digitalen oder das Unterwandern von gesellschaftlicher Debatte durch Schaffung alternativer Fakten – Komplexität und Intransparenz stehen ganz oben auf der Liste möglicher Ursachen von Verunsicherung von Menschen.

Machtspiele im Hintergrund

Seit jeher sind soziale Interaktionen von verdeckten Mechanismen geprägt. Ob in Politik, Unternehmen oder im Privaten – Macht manifestiert sich durch Tricks, Indifferenz und das Verbergen von Eigeninteressen. Klassiker wie Machiavellis Der Fürst oder Robert Greenes 48 Gesetze der Macht finden nicht umsonst bis heute Millionen von Leserinnen und Lesern: Sie legen offen, dass Spielregeln wie „andere mit den Karten spielen lassen, die man selbst austeilt“ oder „Absichten verschleiern“ nach wie vor wirksam sind.


Auch in Unternehmen sind diese Dynamiken präsent, wenn auch oft subtiler. Rangordnungen strukturieren Kommunikation:

  • Inhalte werden nur dann relevant, wenn sie von Ranghöheren als ihre eigenen ausgegeben werden.
  • Erfolge müssen kommuniziert, Probleme verschwiegen werden (rangdienlich ist es, nur von Erfolgen zu berichten).
  • Rang strukturiert den Umgang miteinander - soziale Kontrolle sorgt für die Einhaltung dessen.
  • Körpersprache und Dominanzgesten übertönen häufig die besten Argumente.

Das Resultat: eine Struktur, die zur Regelung von Komplexität noch mehr davon erzeugt und eine Kultur, die sich aufgrund von Intransparenz und Individualismus nicht fortentwickeln kann. Frauen und jüngere Mitarbeitende stellen solche Ordnungen zunehmend in Frage, dennoch wirken sie weiter, weil sie zum größten Teil unbewusst bleiben.

Differenzierte Kommunikation

Ein Problem dabei ist, dass differenzierte, sachliche Kommunikation ebenso wie das Zurückfahren emotionaler Belange für professionelles Arbeiten lange als Standard galten. Für Arbeiten in kausal erklärbaren Zusammenhängen ist das hilfreich, beim Arbeiten in komplexen Systemen können zerteilte Einzel-Anforderungen und sachliche Kommunikation wirkungslos bleiben, wohingegen ganzheitliche Lösungen und ein innovativer Umgang mit Paradoxien funktionieren.

Differenzierte Sachkommunikation geht in unübersichtlichen Situationen an den Menschen vorbei. Vermeidung von Kommunikation führt zu Informationsmangel. Differenziert und sachlich handeln ist nur bedingt möglich, da es immer ein Mensch ist, der handelt. Erwartet wird auf menschlicher Ebene Kontinuität, Einheit, Kongruenz - die werden jemandem nicht abgenommen, der sein differenziertes wechselndes Verhalten nicht auch erklärt. Die Selbstoffenbarungsebene in der Kommunikation schwingt immer mit - die Einheit aus Lösungsansätzen, Charakterzügen und Entscheidungen, die ein Mensch ist, kann trotz glatter Kommunikation auf Dauer nicht verborgen werden - und über die Zeit baut sich ein Bild, eine Reputation auf, d.h. Zukunftskapital für Folgeschritte.  

Jede Entscheidung von Mitarbeitenden einer Organisation oder eines Teams ist außerdem eine Festlegung und somit Abstraktion und Wertung dessen, was z.B. die Führungskraft kommuniziert hat: "Ja, überzeugt – ich bringe mich ein" oder "nein, nicht überzeugt, ich ziehe mich raus". Auf die Entscheidung wirkt die Summe aller Vorerfahrungen mit den anderen Personen ein. Das Modell des Gefangenendilemmas entspricht so einer Situation – Kooperation wird hier anhand von Computersimulationen als der beste Ausweg errechnet, da diese sich als Regelungsverfahren etabliert und sich mit gefestigter Reputation weiter ausbreitet. Nur durch Aufdecken und Sanktionieren von Tricks kann die Kooperation aufrecht erhalten bleiben.

In der aktuellen Zeit, die von vielen als Umbruch wahrgenommen wird, gewinnen Parteien, die Eindeutigkeit versprechen, mehr an Terrain. Man könnte bei ihren Wähler*innen vorsichtig eine Art Rückzug in die eigene Subjektivität vermuten, da sie sich aufgrund der überwältigenden Masse widersprüchlicher Fakten nicht mehr als handlungsfähig sehen. Subjektivität und Einengung des Blickwinkels ermöglichen dagegen Handeln, selbst wenn es nicht die Regelung größerer, die Gemeinschaft betreffender Fragen ermöglicht. Dabei geht der Blick auf diese verloren. Auch im Arbeitskontext erkennt man solche Muster wieder.

Differenziertes Sprechen sollte daher dringlichst mit Glaubwürdigkeit verbunden werden. Das heißt hoch ausdifferenzierte Sachlagen und hierarchische Strukturen anzuerkennen und trotzdem den Mut zu haben, mit Vertrauen zu agieren.

Vertrauen trägt

In komplexen Mechanismen wirkt Vertrauen wohltuend. Vertrauen entsteht durch Integrität – Offenheit über (gute) Absichten und stetige Mühe für deren Umsetzung. 

Mit anderen Worten:

„Vertrauen ist ein psychologischer Zustand, der die Akzeptanz von Verwundbarkeit beinhaltet und der auf positiven Erwartungen der Intentionen des anderen basiert“ (Schwegler).

Interkulturelle Forschung zeigte, dass Verhalten entgegen erwarteter Stereotype vertrauensfördernd wirkt. Forschung zu politischen Krisen und zu sozialem Kapital ergab, dass es vertrauensbildend ist, den ersten Schritt zu tun und das damit verbundene Verlustrisiko in Kauf zu nehmen. Vertrauen bringt eine andere Ebene ins Spiel – ein durch Handlung und Emotion geprägter, sich selbst verstärkender Kreislauf zwischen Menschen entsteht, dessen Wirkung nicht mit Maßstäben wie Logik oder Rationalität messbar ist, sondern nur mit dem von Integrität, d.h. der Fähigkeit als Mensch eine Einheit darzustellen, die in sich stimmig ist. Arbeit wird als einfacher und sinnvoller empfunden. Vertrauen stärkt die Resilienz von Teams, da es die Selbstwirksamkeit als Individuum und als Gruppe erlebbar macht. Wird einer Kollegin vertraut, kann sie sich selbst auch vertrauen. Vertritt ein Kollege zuverlässig und stetig ein wertvolles Anliegen und andere bemerken es, wird er zum Anker für sie, zum Leuchtturm. 

Das trägt zur Entspannung und zu Stressabbau bei – Menschen sind soziale Herdentiere, sie geben einander Sicherheit, wenn sie Vertrauen aufbauen und es ggf. auch reparieren. Arbeit ist ein wesentlicher Teil unseres Lebens - wenn sie von Vertrauen getragen ist, leistet sie einen Beitrag zu unserer Lebensqualität und Gesundheit.

Die Rolle von Führungskräften

Führungskräfte stehen hier besonders in der Verantwortung. Sie müssen nicht nur Prozesse steuern, sondern sich auch selbst führen können. Wer sein Team stärken will, sollte Interesse wecken und Bedingungen schaffen, die nicht rein mechanistisch sind.  Es fordert die Bereitschaft, vertrauensfördernd auf Struktur und Kultur zu wirken und hier voll zu investieren.

Je komplexer Organisationen und gesellschaftliche Systeme werden, desto schwieriger ist es, jede Einflussgröße zu durchschauen, zu planen, zu antizipieren. Vertrauen bietet Komplexitätsreduktion.

Vertrauensaufbau bedeutet:

  • Vorbildwirkung – Initiative für Vertrauensaufbau und -reparatur
  • Kongruenz und Stetigkeit in Sprechen und Handeln
  • Offenlegung (guter) Absichten und von Gedanken, wo irgend möglich
  • Eingeständnis von und Respekt für Grenzen
  • Dialogische Führung und Feedback-Kultur: Stärkung der Fähigkeit der gemeinsamen Entscheidungsfindung in Regelbesprechungen
  • Bei Uneinigkeit Trennung von Person und Sache - der anderen Person mehr Respekt zeigen und Sachargumente anführen
  • Herstellung von Transparenz über Widersprüche und Wechselwirkungen z.B. durch zirkuläres Fragen und Fragen zur Bedeutung einer Handlung
  • Aufbau auf gemeinsamer Erfahrung und Rückversicherungen, so dass der rote Faden in der Beziehung fortgeführt wird

Persönliche Entwicklung als Schlüssel

Führungskräfte können diesen Wandel nur gestalten, wenn sie selbst in ihrer Persönlichkeit wachsen. Entwicklung verläuft oft in Stufen:

  • vom egozentrischen „Ich bin, was ich will und brauche“
  • über das reaktive „Ich bin, was ich tue, um wertvoll zu sein“
  • hin zum kreativen „Ich bin, wie ich meine Werte bewusst in die Welt bringe“
  • bis zum integralen „Ich bin, was wir in Verbindung bewirken“.

Je mehr Kopf, Herz und Wille zusammenspielen, desto größer wird die Fähigkeit, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen – und damit differenziert zu kommunizieren, ohne in Manipulationsspiralen zu verfallen.


Fazit:
Differenzierte Kommunikation ist in Organisationen keine rein technische Fertigkeit. Sie verlangt das Bewusstsein für Macht- und Ordnungsstrukturen, die Bereitschaft, offen zu sein, Tabus anzusprechen, und die Fähigkeit, Vertrauen als verbindende Kraft zu etablieren. Vertrauen reduziert Komplexität, weil es Orientierung bietet, wo Systeme undurchsichtig werden. Es ist die vielleicht einfachste Formel für eine gelingende Zusammenarbeit in einer zunehmend komplexen Welt.

Literatur:

  • Siroux, Sandra; Stefan Roock und Henning Wolf (2025) Agile Leadership. Führungsmodelle, Führungsstile und das richtige Handwerkszeug für die agile Arbeitswelt. dpunkt.verlag.
  • Witzer, Brigitte (2025): Das Ende der Dominanz. Für eine Führung auf Augenhöhe. Perspektiven für eine neue Unternehmenskultur. Ariston.

  • ...aber auch:

    • Groth, Torsten (2024): 66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung. Carl Auer.
    • Knack, Stephen and Philip Keefer (1997):  Does Social Capital Have an Economic Payoff? A Cross-Country Investigation. The Quarterly Journal of Economics, Vol. 112, No. 4, pp. 1251-1288 Published by: The MIT Press Stable URL: http://www.jstor.org/stable/2951271
    • Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
    • Senge, Peter (2008): Die 5. Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Klett-Cotta.
    • Schulz von Thun, Friedemann (1981): Band 1: Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Rowohlt, Reinbek
    • Schwegler, Ulrike (2009). Herausforderungen der Vertrauensforschung in interkulturellen Kooperationsbeziehungen [32 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 10(1), Art. 48, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs09014

    Bilder: Vielen Dank an die Künstler*innen auf pixabay: ua_Bob_Dmyt_ua, geovanaegilsonsilva, geralt


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